Pflegekompetenzgesetz

Unser offener Brief an Herrn Lauterbach zum Thema Pflegekompetenzgesetz im Januar 2024

Wer hat an der Uhr gedreht?

 

 

 

Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Lauterbach,

 

 

die Pläne und Eckpunkte zum anstehenden Pflegekompetenzgesetzes sprechen eine moderne Sprache. Die Publikationen der vergangenen Tage (u.a. Zeit Online vom 19.12.23: https://www.zeit.de/gesundheit/2023-12/pflegekompetenzgesetz-karl-lauterbach-pflegekraefte-kompetenzen-aerzte) geben Ausblicke auf zeitgemäße und künftig noch attraktivere Arbeitsgebiete für (akademisch gebildete) Pflegefachkräfte. Mehr Einfluss, mehr medizinische und therapeutische Kompetenz – neben den pflegerischen Tätigkeiten – sollen die Pflegekompetenz steigern.

 

Alle notwendigen, sinnstiftenden Maßnahmen und mehr Entscheidungskompetenzen, die den Pflegeberuf attraktiv(er) und gleichermaßen effizienter machen, sind angebracht, und finden unsere uneingeschränkte Unterstützung. Interdisziplinarität ist elementar und uns Diätassistent:innen ein unabdingbares Gut im Medizin- und Therapiealltag.

 

 

Überrascht und mehr als irritiert haben uns Überlegung(en), dass Pflegekräfte künftig Ernährungsberatungen übernehmen sollen.

 

 

Daher die Frage: Wer hat an der Uhr gedreht?

 

 

Hintergrund: Professor Carl von Noorden (1894) und Professor Ludolph Brauer (um 1900) bezogen bereits um 1920 ausgebildete und berufserfahrene (Kranken-)Schwestern mit hauswirtschaftlichen Kenntnissen mit in ihre therapeutische Arbeit am Patienten mit ein. Diese damaligen (Kranken-) Schwestern entwarfen Speisepläne, Nährwertberechnungen und Rezepte, führten so genannte „Diätkurven“ – und führten die vorgesehenen Ernährungsberatungen durch.  Der daraus entstandene Beruf der Diätassistent:innen wurde bereits 1937 bundesrechtlich geregelt und zählt zu den nicht-ärztlichen Heilberufen (auch Gesundheitsfachberufen oder Medizinalfachberufen).

 

 

 

 

Diätassistent:innen sind diejenigen therapeutisch tätigen Fachkräfte, die gemäß DiätAssG als bundesweit einzig ausgebildeter und geregelter Heilberuf, eigenverantwortlich und auf ärztliche Anordnung insbesondere die Diät- und Ernährungsberatung im klinischen und ambulanten Sektor sowie die diättherapeutische Einstellung von Patienten (z. B. Enterale Ernährung und  Sonderdiäten) durchführen.

 

 

 

Warum das Rad zurückdrehen?

 

 

Pflegefachkräfte haben heutzutage dafür keine Zeit (Stichwort Pflegenotstand) und sind für die speziellen Bedarfe moderner Ernährungstherapie und Diätetik unzureichend qualifiziert.

 

 

Ihre Planungen sind weder zeitgemäß noch qualitätsgesichert!

 

Der Pflegeberuf ist ein anerkannter Heilberuf – jedoch nicht in der Ernährungsberatung und -therapie. Pflegefachpersonen gehören zum interprofessionellen Team im Klinik- wie ambulanten Alltag, und tragen im Rahmen ihrer wertvollen pflegerischen Kompetenzen verantwortungsvoll zur optimalen Versorgung der Patient: innen bei. Sie fungieren als Nahtstelle zwischen allen Disziplinen im Klinikalltag, dabei übernehmen sie jedoch nicht die Aufgaben von Physio- oder Ergotherapeuten !

 

 

 

Für uns sind diese Pläne vergleichbar mit:

 

·        Zahnarzthelfer:innen übernehmen künftig Wurzelbehandlungen?

 

·        Autohändler:innen reparieren künftig die Autos, nicht Mechatroniker:innen…

 

·        Medizinische Fachangestellte planen die Diagnostik bei Tumorpatient:innen?

 

 

 

Wir fordern

 

  1. Diätassistent:innen als Heilberufler und qualifizierte Fachkräfte im Bereich Ernährung wahrnehmen

 

Diätassistent:innen werden über mindestens drei Jahre + Zusatzqualifikation dafür berufsrechtlich und gesetzlich geschützt für Ernährungstherapie und -beratung qualifiziert. Wie argumentieren Sie den Stellenwert dieser Qualifikation und Kompetenz, wenn Pflegefachpersonen in einem Semester und einem Modul etwas zur Ernährungsberatung erlernen – und es dann an den Kranken anwenden können?

 

Es geht um Risikoscreenings, Probleme in der Nahrungszufuhr, bei Kau- und Schluckschwierigkeiten und der dazugehörigen Edukation für die Betroffenen und/oder die Angehörigen. Pflegefachpersonen sollen ohne grundständig erlernte Kenntnisse im Bereich der Lebensmittelkunde und Diätetik Empfehlungen für oder gegen Lebensmittel und Speisen für Menschen ohne Appetit, mit Unverträglichkeiten und/oder Stoffwechselproblemen oder -entgleisungen aussprechen, die Medikamenten-Wechselwirkungen im Blick.

 

Diätassistent:innen berücksichtigen ernährungspsychologische Aspekte, die Nachhaltigkeit und Lebensmittelverschwendung. Diese Kriterien sehen leitlinienkonforme und zeitgemäße Ernährungstherapie und -Beratung nämlich vor.

 

 

 

 

Professionalisierung des Gesundheitspersonals

 

Wir Diätassistent:innen halten Schritt mit den rasanten Veränderungen in allen Bereichen wie Adipositas, Diabetes mellitus, Geriatrie, besonders Gerontopsychiatrie, künstliche Ernährung, Onkologie, Palliativmedizin, Pädiatrie und viele mehr. Es entwickelt sich längst eine fachlich und wissenschaftlich fundierte eigene Handlungswissenschaft der Diätetik.

 

Problem: Bisher konstatieren wir - trotz dieser Entwicklungen und Kompetenzen - eine nicht vertretbare Geringschätzung bis hin zu fehlender Honorierung zertifizierter und hochqualifizierter Diätassistent:innen, sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Dabei sind praktisch in jedem Krankenhaus Diätassistent:innen beschäftigt.

 

 

 

  1. Pflegefachkräfte nicht noch mehr belasten, sondern aufzuwerten als wertvolles Bindeglied zwischen den verschiedenen Akteuren und Heilberufen!

 

 

 

Besonders das Thema der Mangelernährung im Klinikalltag wurde und wird in vielen Studien als ein brisantes Thema bestätigt. Viele Personen weisen bereits bei Klinikeintritt ein Risiko für eine Malnutrition auf, oder sie sind bereits mangelernährt. Dies fällt aufgrund fehlender standardisierter und nicht zuverlässig durchgeführter Screenings oft nicht auf. Schlimmer noch, das Mangelernährungsrisiko bzw. die Mangelernährung nehmen bis zur Entlassung noch zu. Das führt zu Komplikationen, Wiedereinweisungen, sinkender Lebensqualität (zu Deutsch: Elend und Leiden), Todesfällen und unnötig hohen Behandlungskosten. Die aktuelle (scheinbar nicht optimale) Klinikverpflegung steht in vielen Diskussionen und Forschungen auf dem Prüfstand. Ziel muss sein, das Ernährungsmanagement in den Kliniken rasch zu optimieren. Strukturiertes Risikoscreening, antientzündliche und gesundheitsförderliche Verpflegung, entsprechende zielgruppenorientierte Intervention(en) und optimales Entlassmanagement mit der Weiterleitung an externe Ernährungsfachkräfte. Hier sind qualifizierte Pflegefachpersonen optimales Bindeglied in der interprofessionellen Kooperation.

 

Umsetzung in die Praxis

 

Sie schreiben, es ginge nicht um das Beschneiden von Befugnissen der Berufsgruppen im interdisziplinären Kontext. Das aber ist die Konsequenz Ihrer Planungen mit dem Aufheben der Modellprogramme nach § 63 Abs. 3b i und die Übernahme in die Regelversorgung mit Durchführung durch nach § 14 PflBG qualifizierte Pflegefachpersonen, wenn es um die Ernährungsberatungen geht. Die Fachkräfte wenden dann weniger Zeit für komplexe und verantwortungsvolle pflegerische und medizinische Aufgaben auf. Fr eine adäquate und personenzentrierte (nachhaltige) Ernährungsberatung müssen mindestens 30 min veranschlagt werden. Woher soll diese Zeit genommen werden in Zeiten des Pflegenotstandes?

 

 

Pflege muss attraktiver werden – unbedingt !

 

Doch dies geschieht nicht durch Übertragung zeitintensiver, fachfremder Aufgaben!

 

 

 

 

Pflegefachpersonen sind Schaltstellen im interdisziplinären Team – und müssen mehr Befugnisse erhalten. Durch enge Kooperation mit Diätassistent:innen in der Klinik gelingen ernährungstherapeutische Interventionen, die zum Wiedererlangen der Gesundheit für die Betroffenen grundlegend sind.

 

Unbestritten ist die Tatsache, dass ein wesentlicher Faktor für Genesung aber auch der Compliance menschliche (Beratungs-)beziehungen sind. Diese herzustellen und aufrechtzuerhalten, erfordert nicht nur Zeit, sondern auch ernährungspädagogisches und -psychologisches Wissen und Können. Diese Patienten befinden sich oft in lebensbedrohlichen Ausnahmesituationen, welche die Ernährungssituation und -status beeinflussen und in Beratungen unbedingt berücksichtigt und mit in die Beratungen werden müssen. Zeitgemäße, eigenverantwortliche und systematische/prozessgeleitete Ernährungstherapie benötigt beste und grundständige Qualifikation – und nicht nur ein nett gemeinte, vermeintlich attraktives Add On im Studienmodul.

 

 

 

Professor Lauterbach - drehen Sie nicht die Uhr zurück, sondern entscheiden Sie sich für die Zukunft!

 

 

 

Ermöglichen Sie den kranken Menschen

 

  • qualifizierte Pflege durch die besten - und nicht überlasteten -Pflegefachpersonen und
  • qualifizierte Ernährungsberatung und -therapie durch die genau dafür ausgebildeten und qualifizierten Diätassistent:innen.

 

 

 

Kollegiale Grüße

 

 

 

Die freiberuflichen Diätassistent.innen e.V.

 

Birgit Blumenschein

 

Nicole Lins

 

Nancy Lau

 

 

 

Weilerstraße 8

 

73434 Aalen

 

 

 

Mail         info@ernaehrungsberatung-deutschland.de

 

Website  www.ernaehrungsberatung-deutschland.de

 

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